Irrlichter: Schrecken und Beschützerinnen

Ich behaupte ja in der Urban Fantasy etwas Einzigartiges von mir, nämlich, dass ich aus erster Hand berichte. Schließlich weiß ich aus beinahe sicherer Quelle, dass ich der Urenkel eines niederbayerischen Hexers bin. Mehr über ihn und seine Zauberkraft schreibe ich hier. Doch was die Irrlichtkönigin betrifft, spielt eine andere Facette meines Urgroßvaters eine wichtige Rolle: seine Arbeit. Er war nämlich Torfstecher und hat im Moor sein Brot verdient. Ob er dabei Irrlichter getroffen hat?

Dieser Artikel ist der erste Teil meiner „Hinter den Kulissen“-Reihe zu Irrlichtkönigin: das Märchen vom Moor. Wir werfen in den folgenden Absätzen einen Blick auf die Märchenwelt des Buches. Insbesondere reden wir über Irrlichter, die Menschen locken. Aber nun, zuerst, zu meinem Urgroßvater.

Auch ein Hexer muss von etwas leben: Torfstechen im Moor

Mein Urgroßvater war gebürtiger Niederbayer und kam aus dem Bayerischen Wald. Doch er wanderte nach Oberbayern aus – zu Fuß eine nennenswerte Strecke! – und verdingte sich dort als Torfstecher. Als solcher half er mit, ein Moor zu entwässern. Danach ging es für ihn daran, Torf als eine Art Briketts aus dem Moorkörper zu schneiden. Zu diesen Briketts sagt man beim Torf Soden. Das Herausschneiden geschieht in dieser traditionellen Arbeitsweise mit einer flachen Handschaufel, die man im Bild an eine der Schnittkanten gelehnt sieht. Man sagte „Torf stechen“, daher der Name. Jahrhundertelang war das eine wichtige Einkommensquelle, weil getrockneter Torf ein sehr gutes Heizmaterial ist.

Inzwischen lässt man in Deutschland Moore tendentiell in Ruhe, renaturiert sie oder baut Ausflugsorte um sie herum. Das ist auch besser so, denn das Torfstechen ist extrem umweltschädlich. Moore sind CO2-Speicher. Außerdem sind Moore und die sie umgebenden Landschaften Heimat stark gefährdeter Tierarten wie dem heimischen Auerhuhn. Moore sind unbedingt schützenswert.

Moore sind die Heimat übler Legenden

Naturbelassene Moore sind andererseits extrem gefährlich. Die renaturierten Ausflugsmoore bestehen weitgehend aus Wasserflächen, doch natürliche Moorkörper sind scheinbar stabile Moosböden, die bei Tritten zunehmend nachgeben und aus denen man sich nach wenigen Schritten nicht mehr selbst befreien kann. Um sie ranken sich zahlreiche Geschichten von Wanderern, die sich verirrten und nie mehr hervorkamen. In vielen Legenden zieht es diese Wandersleute nicht von allein in den menschenverachtenden Ort, stattdessen taucht ein hypnotisches Lichtlein auf, ein Irrlicht, das die armen Seelen in den Tod lockt. Irrlichter führen Wandersleute auf Abwege, ertränken sie und machen sie zu einem Teil des Moors. Es sind offensichtlich böse Wesen.

Nicht nur mein Urgroßvater hat Torf gestochen, auch mein Großvater – sein Schwiegersohn – hat es in meiner Heimatregion im Ort Nicklheim betrieben. Zu seiner Zeit war die Torfschaufel seltener geworden und man arbeitete mehr mit Maschinen, aber die Idee blieb gleich: Es ging nicht um das Schützen der Natur, daran hätte niemand gedacht, sondern um die Ausbeutung von Ressourcen. Man trug ein Moor ab und hörte erst dann auf, wenn der Torf ganz verschwunden war und die harte Lehmschicht unter dem Moorkörper hervorschaute. Heute denkt man anders, und genau da hat mich ein Gedanke gepackt: Was, wenn es gute Gründe gibt, diese Natur zu vernichten? Etwa, weil etwas Böses darin haust, das niemals aufhören wird, nach Menschen zu lechzen?

Der Torfstich und das Böse

Ich kann nicht sagen, ob mein Urgroßvater jemals ein Irrlicht getroffen hat. Doch wenn er eines hätte treffen wollen, wäre er dafür nicht nach Oberbayern ausgewandert. Denn diese Geschichten sind auch in seiner Heimat, im Bayerischen Wald, sehr präsent. Man findet dort heute noch Urwälder, idyllische Ebenen – die Schachten – sowie morastige Gebiete.

Mein Großvater und mein Urgroßvater hatten in Oberbayern ihre Arbeit. Unter anderem im Nicklheimer Torfstich. Dieser ist heute renaturiert und ein toller Wanderpfad lädt zum Begutachten des Moors ein. Von Irrlichtgeschichten über den Nicklheimer Filz weiß ich nichts. Es gibt diese Legenden, aber sie spielen in der Region eher im Inntal. Ich nehme an, dass man den Nicklheimer Torfstich pragmatisch angegangen ist.

Der Bayerwald mit seinen dicht gedrängten Naturwundern ist da anders. Dort verleihen althergebrachte Sagen vielen der Gegenden eine gefahrvolle und zugleich jenseitige Atmosphäre. Diese hat sicherlich mitgeholfen, dass zumindest Teile der Natur bis heute unberührt gelassen wurden. Der Lehrer Michael Waltinger hat vor über 100 Jahren diese Geschichten gesammelt. Sein Sagenbuch ist auch heute noch erhältlich (Amazon | Thalia). Es sind wirklich viele Legenden. Das machte für mich die Heimat meines Urgroßvaters zur perfekten Heimstatt einer Irrlichtkönigin, die Menschen lockt.

Schwarzenried und die Legende vom Irrlicht

Für Irrlichtkönigin: Das Märchen vom Moor habe ich das Dorf Schwarzenried erfunden, das im Bayerischen Wald an einem verbotenen Moor gelegen ist. In dieser Gemeinde haben wie allerorts im Bayerwald übernatürliche Monster eine lange Geschichte. Dennoch ist es in Schwarzenried anders, denn hier sind die Ungeheuer direkt nebenan. Sagen und Legenden spielen nur einen kurzen Fußmarsch entfernt. Im verbotenen Moor, im gefährlichen Wald, oder auf einem Hügel, unter dem man besser nicht nach Rohstoffen gräbt.

In Kitas und Kindergärten auf der ganzen Wert lernen die Kinder zu vielen Gelegenheiten kleine Spiele auswendig, die sie den Eltern aufführen. Bei diesen können die Eltern ihre Kinder beklatschen und alle Beteiligten haben Freude an der Sache. Solche Spiele haben immer einen Bezug zum Alltag oder zumindest zu alten Traditionen, wie das Laternenfest oder der Nikolaus. Als ich in die düstere Märchenwelt der Irrlichtkönigin eintauchte, war mir klar, dass Schwarzenried eigene Regeln und Spiele brauchen würde.

Ein solches Spiel begegnet uns schon früh in der Geschichte.

Es beginnt mit der folgenden Strophe:

In der Irrlichtkönigin folgen wir der Erzieherin Maria. Sie liebt Moore und sie liebt alte Sagen. Sie verliert sich genauso gern tagträumend in den Mythen der Vergangenheit wie barfuß zwischen Gräsern und Moosen. Sie passt perfekt nach Schwarzenried, denkt sie, und so zieht sie an den Ort. Ihr erster Arbeitstag in der neuen Heimat startet toll – denn die Kinder haben ihr ein Irrlichtspiel vorbereitet. Die Kleinen haben Reime für Maria auswendig gelernt. Sie lassen mit Pappe und Tüchern einen See, den Mond, Rohrkolben, ein Irrlicht und ein verlorenes Kind zum Leben erwachen.

Maria ist begeistert. Doch bald darauf beginnt das Spiel der Kinder Maria zu verfolgen. Sie hat intensive Träume, die sie immer weiter ins Moor locken …

Ein Pfad hinab in die Anderswelt

Das Irrlichtspiel der Kinder ist eines der ersten kleinen Puzzlestücke, die Maria wie Wegmarken hinab in die Anderswelt leiten. In der Gestalt von Kindern kommt es anfangs ganz unschuldig daher.

In meinem Dark Urban Fantasy Märchen von der Irrlichtkönigin geht es um solche Geschichten. Es geht um ein Moor, um Torfstecherei und um Umweltzerstörung. Aber es geht eben auch um Märchenwesen und Sagengestalten sowie darum, wie die Menschen sich gegen diese zur Wehr setzen müssen.

Dark Urban Fantasy: Wenn Moral in Zweifeln zerfällt

Man sagt immer, das Besondere an Märchen wäre ihre Moral. Meist wird die Gier eines Königs bestraft wie in Der Teufel mit den drei goldenen Haaren oder der Neid einer Königin wie in Schneewittchen. Aber denkt man heute über Moral nach, ist die Welt meist weniger klar. Man fragt sich oft, wer von zwei Streitenden denn nun im Recht sei.

In Schwarzenried etwa haben die Menschen die Torfstecherei vor langer Zeit aufgegeben. Allerdings haben sie das nicht getan, weil es dem Naturschutz förderlich wäre. Sie haben in ihrem Kampf gegen das Irrlicht ungeheure Schrecken hervorgerufen und sind vor ebendiesen letztlich zurückgeschreckt – was genau passiert ist, wird Maria in Schwarzenried noch aufdecken. Nur: Wenn das Ziel damals war, etwas Böses zu vernichten, diente es dann nicht der guten Sache?

In dem Moor, anders herum betrachtet, haust ein Irrlicht. Es ermordet Menschen. Doch wenn es das tut, um sein Moor zu schützen … ist es vielleicht im Recht?

Meiner Meinung nach bietet genau diese moderne Moral – dieser innere Konflikt von Richtig und Falsch – alles, was eine Geschichte braucht. Als Leser lasse ich mich gern in solche Welten entführen und als Schreibender versuche ich, meine Dark Urban Fantasy so zu gestalten. Hier müssen alte Sagenwesen ihren Platz in der Moderne behaupten und in unmoralischen Situationen bittere Entscheidungen treffen. Aber auch diejenigen, die es mit ihnen zu tun bekommen, können zu Monstern werden.

Gefallen dir diese Fragen auch? Ob ein Ungeheuer ein guter Mensch sein kann? Ob ein guter Mensch sich als Ungeheuer zu entpuppen vermag? Dann wirf einen Blick in die XXL-Leseprobe der Irrlichtkönigin. Du wirst dort ebendiesen Zwiespalt finden, das Moralisch-Unmoralische, die Graustufen, diese Dark Urban Fantasy.

Auf zum Teil 2: Das Moor begann im Augenwald

Die Geschichte der Irrlichtkönigin handelt von einem Moor, doch die erste Idee hat nicht im Moor angesetzt, sondern in einem Wald. Ist dir eigentlich mal aufgefallen, wie die Stämme mancher Bäume Augen auszubilden scheinen?

Im zweiten Teil dieser Reihe tauche ich mit dir tiefer ein in die Entstehungsgeschichte des Märchens vom Moor. Der Roman entstammt nämlich einem Traum. In diesem kam noch kein Irrlicht vor. Dafür betraten Schrate die Bühne in meinem Kopf, also magische Waldbewohner, die sich als lebende Bäume an Menschen vergreifen. Ich erzähle dir von dem Traum, aus dem die Irrlichtkönigin erwachsen ist, und von dem Weg, an dessen Ende das Lichtlein auf mich wartete. Folge mir zu Ein Raubtraum und der Weg zum Moor.

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Irrlichtkönigin: Hinter den Kulissen

In dieser Artikelreihe erzähle ich von den Hintergründen zum Märchenroman Irrlichtkönigin: Das Märchen vom Moor.

Das Dark Urban Fantasy Märchen beschreibt einen besonderen Sommer im Leben der Erzieherin Maria: Sie sucht das Glück und findet ein Irrlicht.